Robotik in der Psychiatrie: Die Geschichte einer Patientin

Gwen* ist sechs Jahre alt und seit fast sieben Monaten in stationärer Behandlung auf der Krisen- und Therapiestation für Kinder der Clienia Littenheid. Die Roboterrobbe Paro hilft Gwen, sich zu beruhigen, wenn sie traurig oder wütend ist.

Gwen hat in ihren wenigen Lebensjahren schon vieles ertragen. Ihre Grundbedürfnisse konnten von ihrer Mutter nicht erfüllt werden. Schon als Kleinkind erlebte Gwen Gewalt und erfuhr nie, was eine zuverlässige Bindung ist. Auch war sie unter- und mangelernährt. Wenn sie störte, wurde sie von ihrer süchtigen Mutter in den Keller gesperrt. Die letzten Monate vor ihrem Eintritt in unsere Klinik lebte sie bei ihrer Tante, die sich sehr bemühte, Gwen ein tragfähiges Umfeld zu bieten. Gwens impulsive, aggressive Ausbrüche mit selbst- und fremdgefährdendem Verhalten nahmen jedoch stetig zu. Sie biss, riss an den Haaren und schlug ihren Kopf gegen die Wand, zerstörte Gegenstände, schrie bis zu zwei Stunden lang, begab sich absichtlich in gefährliche Situationen und plagte die Haustiere ihrer Tante. Als alle Bemühungen nicht fruchteten und das ambulante Helfernetz nicht mehr ausreichte, wurde Gwen durch die KESB in unsere Klinik eingewiesen.

Hier zeigte sie sich massiv bindungsgestört und immer wieder sehr angespannt, was auf die traumatischen Erfahrungen in der Beziehung zu ihrer Mutter und deren Verhaltens- und Erziehungsweisen zurückzuführen ist. Gwen reagiert bei Überforderung mit starken Wutausbrüchen und kann sich nur schwer regulieren. Paro, unsere emotional sozialinteraktive Roboter-Robbe, hilft Gwen, sich zu beruhigen. Sie liebt es, mit der Babyrobbe zu kuscheln und sie zu streicheln. Sie küsst sie, strahlt und sagt: «Paro weiss ganz genau, was Kinder brauchen, und sie kuschelt genauso gerne wie ich». Am Anfang war Paro jeden Tag zwei- bis dreimal bei Gwen, heute muss sie manchmal auf die Robbe verzichten: «Paro muss ja auch den anderen Kindern helfen».

Unter Paros flauschigem hellem Fell ist eine taktile Sensorik versteckt, die Streicheleinheiten wahrnimmt. Darauf reagiert Paro mit der Bewegung des Schwanzes sowie des Kopfs und der Augen. Die Roboter-Robbe reagiert darüber hinaus auf Geräusche und gibt auch selber welche von sich. Paro erzeugt bei unseren jungen Patientinnen und Patienten Freude und Wohlbefinden.

Für Gwen wird nun eine langfristige Anschlusslösung in einer Umgebung gesucht, die ihr eine zuverlässige, für sie vorhersehbare, enge Struktur bietet, in der sie sichere Bindungserfahrungen machen und sich adäquat entwickeln kann.

*Name geändert

 

Teil 1: Robotik generell

Teil 2: Robotik in der Medizin

Teil 3: Robotik in Littenheid mit Paro