Intellektuelle Entwicklungsstörung: Psychiatrische Komorbiditäten

Im dritten Beitrag werden eine Reihe an psychiatrischer Komorbiditäten der Intellektuellen Entwicklungsstörung vorgestellt.

Teil 1: Ursachen und Häufigkeiten

Teil 2: Diagnostik

Menschen, die von einer Intellektuellen Entwicklungsstörung betroffen sind, weisen ein grösseres Risiko auf, körperlich oder psychisch zu erkranken. Schätzungen zufolge leiden 10-60% der betroffenen Kinder und Jugendlichen an einer psychischen Störung. Vor allem jüngere Kinder leiden häufig zusätzlich an einer psychischen Erkrankung. Die Diagnose von psychischen Störungen ist erschwert, da gewisse Symptome der Intellektuellen Entwicklungsstörung denjenigen von psychischen Störungen gleichen. Zudem berichten Betroffene einer Intellektuellen Entwicklungsstörung weniger häufig von psychischen Symptomen, auch wenn sie vorhanden sind. Es ist auch möglich, dass Symptome der Intellektuellen Entwicklungsstörung sich über die Zeit verstärken und intensivieren, was ein Zeichen für eine psychische Störung sein könnte. Im Folgenden werden einige psychische Störungen, die häufig gemeinsam mit der Intellektuellen Entwicklungsstörung auftreten, beschrieben.

Schizophrene Psychosen
Betroffene einer Intellektuellen Entwicklungsstörung weisen ein erhöhtes Risiko auf im Jugend- oder jungen Erwachsenenalter an einer psychotischen Störung zu erkranken. Gemäss einer Studie leiden 1.9% der Kinder, die an einer Intellektuellen Entwicklungsstörung erkrankt sind, an einer Schizophrenie. Damit ist das Risiko an einer psychotischen Störung zu erkranken für Kinder mit einer Intellektuellen Entwicklungsstörung 50-mal so hoch. Es wird angenommen, dass der Intellektuellen Entwicklungsstörung und der Schizophrenie gemeinsame genetische Ursachen zugrunde liegen.

Affektive Störungen
Betroffene einer Intellektuellen Entwicklungsstörung können an depressiven und manischen Verstimmungen wie auch bipolaren Störungen erkranken. Mit zunehmendem Schweregrad der Intellektuellen Entwicklungsstörung wird die Diagnose erschwert, da sich die Symptome untypisch zeigen. Eine Depression kann sich beispielsweise bei einem leichten bis mittleren Schweregrad durch selbstverletzendes Verhalten zeigen, bei einer schweren Intellektuellen Entwicklungsstörung hingegen eher durch fremdaggressives Verhalten.

Angststörungen
Angststörungen zählen bei Betroffenen einer Intellektuellen Entwicklungsstörung wie auch bei der Allgemeinbevölkerung zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Bei einem leichten Schweregrad der Intellektuellen Entwicklungsstörung zeigen sich die gleichen Symptome wie in der Allgemeinbevölkerung. Bei dem Vorliegen des Fragile-X-Syndroms liegt eine Prävalenz von über 75% vor. Im Gegensatz dazu leiden Personen mit einer Trisomie 21 seltener an einer Depression oder Angststörung als die Allgemeinbevölkerung.

Posttraumatische Belastungsstörung
Kinder und Jugendliche, die an einer Intellektuellen Entwicklungsstörung leiden, erleben häufiger traumatische Ereignisse. Je tiefer die intellektuellen Fähigkeiten sind, desto grösser ist das Risiko, eine Posttraumatische Belastungsstörung auszubilden. Dies liegt daran, dass traumatisierende Erlebnisse schwieriger eingeordnet und verarbeitet werden können. Betroffene verfügen zudem nur über eine eingeschränkte Handlungsfähigkeit und sind, unter anderem aufgrund fehlender Alltagserfahrung, weniger flexibel.

ADHS
Motorische Unruhe gehört zu den häufigen Symptomen bei Intellektueller Entwicklungsstörung. In der Regel findet sich auch eine ungenügende Aufmerksamkeit, eine hochgradige Ablenkbarkeit und fehlende Ausdauer. Die Ausbildung der Symptome wächst mit zunehmendem Schweregrad der Intellektuellen Entwicklungsstörung. Die Diagnostik muss aufgrund von vielfältigen Überschneidungen mit anderen psychischen und Verhaltensstörungen sorgfältig durchgeführt werden.

Tiefgreifende Entwicklungsstörung
Über 18% der Kinder mit einer Intellektuellen Entwicklungsstörung weisen zudem eine Autismus-Spektrum-Störung auf. Insbesondere der frühkindliche Autismus ist stark komorbid mit der Intellektuellen Entwicklungsstörung. Bei der Autismus-Spektrum-Störung liegen ebenfalls häufig genetische Ursachen vor, was die hohe Komorbidität zwischen den beiden Störungen erklären könnte.

Verhaltensauffälligkeiten
Verhaltensauffälligkeiten können unterteilt werden in solche, die sich gegen aussen richten, und solche, die sich gegen innen richten. Gegen aussen gerichtete Verhaltensauffälligkeiten umfassen verbale, destruktive, auto- und fremdaggressive Verhaltensweisen. Gegen innen gerichtete Verhaltensauffälligkeiten beinhalten ängstliche Verhaltensweisen und sozialer Rückzug. Schwerwiegendes herausforderndes Verhalten ist charakterisiert durch die fortgesetzte Gefährdung oder Beeinträchtigung von sich selbst oder anderen, so dass Betroffene nur eingeschränkt oder gar nicht an Angeboten und Diensten im Gemeinwesen teilnehmen können. Kinder und Jugendliche mit einer Intellektuellen Entwicklungsstörung zeigen häufig aggressives Verhalten, die Auftretenshäufigkeit liegt bei 17-24%. Verhaltensprobleme weisen eine grosse Stabilität und Persistenz auf. Je stärker der Schweregrad, desto häufiger tritt auto- oder fremdaggressives Verhalten auf.

Chronische Schmerzen
44% der Kinder mit einer Intellektuellen Entwicklungsstörung erleben wöchentlich Schmerzen. Menschen mit einer Intellektuellen Entwicklungsstörung verfügen über eine normale Schmerzwahrnehmung. Treten jedoch früh wiederholt Schmerzen auf und werden nicht behandelt, kann dies zu einer erhöhten Schmerzsensitivität führen. Dies beeinträchtigt das Schlaf-, Ess- und Bewegungsverhalten sowie den Schulbesuch und das soziale sowie emotionale Wohlbefinden. Allerdings ist die richtige Einschätzung und Behandlung körperlicher Aspekte, die Schmerzen verursachen können, durch die eingeschränkte Mitteilungsfähigkeit der Betroffenen oftmals schwierig. Es hat sich gezeigt, dass orale Schmerzen das Risiko für selbstverletzendes Verhalten erhöhen. Deshalb kommt der Abklärung von Schmerzen bei Betroffenen der Intellektuellen Entwicklungsstörung eine besondere Bedeutung zu.

Demenz
Betroffene einer Intellektuellen Entwicklungsstörung, die älter als 55 Jahre sind, leiden dreimal so häufig an einer unspezifischen Demenz, wie die Allgemeinbevölkerung. Bei einer Alzheimer Demenz ist die Auftretenswahrscheinlichkeit doppelt so hoch. Besonders betroffen sind Menschen mit einer Trisomie 21 Erkrankung. Ab dem Alter von ca. 50 Jahren verdoppelt sich das Risiko an einer Demenz zu erkranken alle 5 Jahre.

Teil 4: Therapie