Teil 1: Symptome & Diagnose
Das Erlernen der Schriftsprache ist eine essenzielle kulturelle Schlüsselfertigkeit für die Menschen. Das Lesen- und Schreibenkönnen sind notwendige Fähigkeiten, um Wissen zu erwerben und dieses auch weitervermitteln zu können. In modernen Industriegesellschaften scheint der Erwerb der Schriftsprache in jungen Jahren auch meist reibungslos zu funktionieren. Dabei wird bereits früh die Schriftsprachenentwicklung gefördert. Dies beginnt mit dem Malen und Kritzeln in der Vorstufe, bei welchem das Leseverhalten imitiert wird. Anschliessend werden einzelne Buchstaben erlernt, diese werden zu grösseren Segmenten (Silben) erfasst und zuletzt werden die Silben zu Wörtern zusammengesetzt. Des Weiteren werden den Kindern die orthografischen Regeln vermittelt und diese eingeübt, sodass die Fähigkeit flüssig und automatisiert ablaufen kann. Was hier als einfacher Prozess dargestellt werden kann, ist eigentlich eine erstaunliche und sehr komplexe Leistung des Gehirns. Beim Schriftsprachenerwerben muss das Gehirn verschiedene Funktionen zeitgleich koordinieren.
Bei einigen Kindern lassen sich jedoch dauerhafte Probleme des Schriftsprachenerwerbs feststellen. Die Lese- und Rechtschreibstörung ist eine bedeutende und überdauernde Störung des Schriftsprachenerwerbs. Mit einer Prävalenz von ca. 5% gehört sie ausserdem zu den weitverbreitetsten schulischen Entwicklungsstörungen im Kindes- und Jugendalter. Dabei scheinen Jungen bis zu dreimal häufiger betroffen zu sein als Mädchen. In den folgenden Abschnitten werden die Symptome einer Lese- und Rechtschreibstörung beschrieben und der diagnostische Prozess skizziert.
Symptome
Im Vordergrund der Lese- und Rechtschreibstörung steht die erhebliche Beeinträchtigung des Erwerbs der Lese- und Rechtschreibfähigkeit. Die ersten Symptome treten häufig bereits in den ersten Schuljahren auf und sollten ernst genommen werden. Eine Lese- und Rechtschreibestörung kann folgende Merkmale aufweisen:
- eine verlangsamte Lesegeschwindigkeit
- das Auslassen, Hinzufügen, Ersetzen oder Verdrehen von Wortteilen oder ganzen Wörtern
- Probleme beim Leseverständnis
- die Unfähigkeit, eben Gelesenes wiederzugeben oder Zusammenhänge zu sehen
- hohe Fehlerquote beim Schreiben
Ausserdem kann die Lese- und Rechtschreibstörung bei den betroffenen Kindern einen deutlichen negativen Einfluss sowohl auf die schulische Leistung als auch auf tägliche Aktivitäten haben. Demnach stellt die Lese- und Rechtschreibstörung bei hoher psychosozialer Belastung ein Risikofaktor für weitere psychische Störungen dar, wie z.B. Depression, Angststörung oder Verhaltensstörungen.
Diagnose
Man unterscheidet zwischen drei Formen im Teilleistungskonzept:
- isolierte Lesestörung
- isolierte Rechtschreibstörung
- kombinierte Lese- und Rechtschreibstörung
Die isolierten Störungen treten eher selten auf. Häufig sind auch andere Teilbereiche betroffen, wie z.B. die Rechenfähigkeit oder die Aufmerksamkeit. Demnach ist der diagnostische Prozess bei einer Lese- und Rechtschreibstörung komplex. Bei Verdacht auf eine Lese- und Rechtschreibstörung müssen zunächst mögliche organische oder neurologische Ursachen, wie beispielsweise eine Hör- und Sehbeeinträchtigung, ausgeschlossen werden. Deshalb wird in der Regel eine ausführliche körperliche Untersuchung durchgeführt. Können organische und neurologische Ursachen ausgeschlossen werden, wendet das Fachpersonal standardisierte Leistungstests an, bei denen neben der Lese- und Rechtschreibfähigkeit auch die Intelligenz evaluiert wird. Bei diesen Leistungstests werden die Testresultate des betroffenen Kindes mit den Alters- und Klassennormen verglichen. Ein Indiz für eine Lese- und Rechtschreibstörung sind Leistungen, die deutlich unter dem Niveau liegen, welches aufgrund des Alters, der allgemeinen Intelligenz und der Beschulung zu erwarten wäre. Des Weiteren werden bei der Diagnostik auch schulische Informationen, wie z.B. Zeugnisse, Schulberichte und Klassenarbeiten, berücksichtigt.
Im zweiten Teil beschreibt Clienia die möglichen Ursachen einer Lese- und Rechtschreibstörung.