Prävention der Demenz: in Kindheit, Jugend und mittlerem Erwachsenenalter

Schädliche Proteinablagerungen im Gehirn entstehen Jahrzehnte bevor sich die ersten Symptome einer Demenzerkrankung zeigen. «Es ist nie zu früh für Demenzprävention», hält eine grosse Übersichtsstudie zur Demenzprävention fest und stellt beeinflussbare Risikofaktoren vor.

Demenzerkrankungen entwickeln sich langsam, über Jahrzehnte, bevor sich klinische Symptome zeigen. Deshalb ist es nötig, frühzeitig in den Entstehungsprozess der Krankheit einzugreifen. Prävention beginnt folglich nicht erst im Pensionsalter, sondern weit früher. Eine grosse Studie zur Demenzprävention (Livingston et al.,The Lancet, 2020) ist zum Schluss gekommen, dass 40% des Demenzrisikos beeinflussbar sind. Die beiden stärksten beeinflussbaren Risikofaktoren sind Hörverlust im mittleren Erwachsenenalter (8%) und tiefe Schulbildung in der Kindheit und Jugend (7%). Nebst Hörverlust und Bildung nennt die Studie auch Schädelhirntrauma (3%), Bluthochdruck (2%), Übergewicht (1%) und Alkoholmissbrauch (1%) als modifizierbare Risikofaktoren in jüngeren Jahren. Auf die detaillierten Ergebnisse zu diesen Faktoren wird nun im Folgenden eingegangen. 

Bildung 
Ein hohes Bildungsniveau in Kindheit und Jugend sowie Bildung im späteren Leben senken das Risiko für Demenz. Denkt man sich die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten einer Person als Kurve, so steigt diese Kurve bis ca. zum 20. Lebensjahr steil an und erreicht dann eine Plateauphase. Von diesem Plateau aus beginnt einige Jahre später der kognitive Abbau. Je höher das Ausgangsplateau angesetzt ist und je länger es gehalten werden kann, desto mehr Reserve ist vorhanden, um den kontinuierlichen kognitiven Abbau zu kompensieren. Eine umfassende Grund- und Sekundarschulbildung in jungen Jahren ist deshalb zentral, um die kognitiven Fähigkeiten bestmöglich zu entwickeln. Es gibt zudem Hinweise, dass Leute mit einem höheren Bildungsniveau später im Leben vermehrt kognitiv stimulierende Tätigkeiten verfolgen, was für den präventiven Effekt mitverantwortlich sein könnte. Studien belegen, dass der Abbau in kognitiv stark fordernden Berufen weniger schnell abläuft und dass die Pensionierung zu einem merklichen Abfall der kognitiven Fähigkeiten führt, unabhängig von Gesundheit und Alter. In Ländern mit tieferem Rentenalter fällt die kognitive Funktion der Bevölkerung stärker ab als in Ländern mit höherem Pensionsalter. Unabhängig vom Bildungsniveau fördern Tätigkeiten wie Lesen, Spielen, Reisen, soziale Veranstaltungen, Fremdsprachen lernen, Musikinstrumente spielen und weitere künstlerische Aktivitäten die kognitive Funktion. 

Hörverlust
Von allen im Lancet-Bericht untersuchten Faktoren ist Hörverlust der stärkste Risikofaktor für Demenz. Pro 10 dB Hörverlust war in Studien eine sukzessive Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten messbar. Bereits bei milder Hörminderung, unter der klinischen Schwelle von 25 dB Hörverlust, wurde eine signifikant tiefere kognitive Funktion beobachtet. Man geht davon aus, dass diese Beeinträchtigung durch eine verminderte Stimulation des Gehirns zustande kommt. Personen mit Hörverlust erkranken laut Studienergebnissen häufiger an Demenz – ausser diejenigen, die ein Hörgerät benutzen. Das Korrigieren eines Hörverlusts durch Hörgeräte schützt laut Studien nachweislich vor Demenz. Folglich ist es wichtig, betroffene Personen frühzeitig, d.h. bereits im mittleren Erwachsenenalter, für den Nutzen von Hörgeräten zu sensibilisieren und sie bei der Gewöhnung an das Gerät gut anzuleiten und zu unterstützen, da dieser Anpassungsprozess mehrere Monate dauern kann. Hörverlust soll nicht nur frühzeitig korrigiert, sondern auch frühzeitig verhindert werden. In jungen Jahren sollte das Gehör konsequent vor exzessiver Lärmbelastung geschützt werden, für die zulässigen Grenzwerte am Arbeitsplatz gibt es detaillierte Richtlinien der Suva.

Schädelhirntrauma
Schweres Schädelhirntrauma ist mit vermehrten schädlichen Ablagerungen im Gehirn (hyperphosphoryliertes Tau) assoziiert, welche demenzfördernd wirken können. Schweres Schädelhirntrauma mit Schädelbrüchen, starker Gewebeschwellung und Blutungen entsteht beispielsweise im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen, Boxsport, Reitunfällen, div. weiteren Risikosportarten, Schusswaffen und Stürzen. Schweres Schädelhirntrauma ist bezüglich Demenzrisiko schädlicher als leichtes Schädelhirntrauma (wie etwa eine leichte Gehirnerschütterung), wiederholte Schädigungen erhöhen das Risiko weiter. Das höchste Demenzrisiko besteht laut Studien in den ersten 6 Monaten nach einem Schädelhirntrauma, was die Sturzprävention bei betagten Personen besonders wichtig macht. 

Bluthochdruck
Personen mit einem systolischen Blutdruck über 140 mm Hg im mittleren Lebensalter haben ein nachweislich erhöhtes Demenzrisiko, insbesondere wenn dieser Blutdruck bis ins höhere Lebensalter unbehandelt anhält. Empfohlen wird in der Lancet-Studie das Senken bzw. Beibehalten des systolischen Blutdrucks unter 130 mm Hg ab einem Alter von 40 Jahren. Die Studie bezeichnet Blutdruckmedikamente zur Blutdrucksenkung als «einzig bekannte effektive Medikamente zur Demenzprävention». Blutdrucksenkung beeinflusst sämtliche Arten von Demenz, insbesondere aber die vaskulären Demenzen. Welches spezifische Medikament zur Blutdrucksenkung verwendet wird, scheint bezüglich Demenzentwicklung bisher nicht relevant.

Alkohol
Exzessiver Alkoholkonsum erhöht das Demenzrisiko. Der Konsum von mehr als 21 Standardeinheiten Alkohol pro Woche wirkt nachweislich demenzfördernd. Als Standardeinheit bezeichnet man jeweils 1 Glas Wein oder Sekt (0,125 l), ein Bier (0,3 l) oder 4 cl Schnaps. Alkoholmissbrauch steigert insbesondere das Risiko für sogenannte «early onset»-Demenzen, d.h. für Demenzen bei Personen unter 65 Jahren. Eine grosse, französische Longitudinalstudie (Schwarzinger et al., The Lancet, 2018) kam zum Resultat, dass Demenzen bei unter 65-jährigen in 56.6% der Fälle mit Alkoholmissbrauch assoziiert waren. 

Übergewicht
Übergewicht hat einen Einfluss auf die kognitive Funktion. Ein BMI von über 30 ist mit Demenz im späteren Leben assoziiert. Bei einem BMI zwischen 25-30 ist bisher keine klare Assoziation zu Demenz bekannt. Allerdings belegen Studien, dass ein Gewichtsverlust von 2 kg bei einem BMI >25 einen signifikanten Einfluss auf die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis von Personen ohne Demenz hat. Übergewicht ist zudem stark an der Entwicklung eines Diabetes Typ 2 beteiligt, welcher ein individueller Risikofaktor für Demenzentwicklung ist.

Teil 1: Risikofaktoren und Ursachen
Teil 3: Prävention der Demenz im höheren Erwachsenenalter