Zwangserkrankungen bleiben oftmals lange unerkannt, weil sich die Betroffenen schämen für ihre Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen. Gerade wenn der Inhalt der Gedanken sexueller oder aggressiver Natur ist, braucht es viel Vertrauen, um sich mitzuteilen. Im Erwachsenenalter sind gleich viele Frauen wie Männer von der Erkrankung betroffen. Im Kindes- und Jugendalter, bis 16 Jahre, sind Jungen doppelt so häufig betroffen wie Mädchen. Es wird davon ausgegangen, dass Jungen früher an Zwangsstörungen erkranken als Mädchen. Ein Grossteil der Betroffenen erkrankt vor dem 25. Lebensjahr. Der durchschnittliche Krankheitsbeginn liegt bei 10 Jahren. Eine Erkrankung vor dem sechsten Lebensjahr ist sehr selten, aber dennoch möglich.
Verlauf von Zwangserkrankungen
Zwangsgedanken und Zwangshandlungen verschwinden meist nicht von alleine. Die Erkrankung verschlimmert sich mit ihrem Fortschreiten. So müssen die Zwangshandlungen mit der Zeit öfters und stärker durchgeführt werden, um eine Entlastung der negativen Gedanken zu erleben. Die Zwangsstörung kann sich im Verlauf ändern. So können sich Gedanken und Handlungen verändern oder ersetzt werden. Der Verlauf über das Leben kann bei Zwangsstörungen nicht verallgemeinert werden. Gewisse Personen erleben mithilfe der Therapie eine vollständige Rückbildung der Zwänge und die Erkrankung kehrt nicht mehr zurück. Bei anderen kommen die Zwänge zu einem späteren Zeitpunkt wieder. Es ist aber auch möglich, dass trotz einer wirksamen Therapie keine oder nur eine leichte Verbesserung erreicht werden kann. Dann handelt es sich um einen chronischen Verlauf der Erkrankung. Eine chronische Entwicklung hängt oft mit einer schweren Erkrankung zusammen.
Ursachen für die Entstehung von Zwangserkrankungen
Die Entstehung einer Zwangserkrankung ist Folge vieler verschiedener Faktoren. Es gibt sowohl körperliche als auch soziale Faktoren sowie Persönlichkeitsfaktoren und Lernerfahrungen die zur Erkrankung führen können.
Zu den körperlichen Faktoren gehört die genetische Vererbung. Zwangserkrankungen treten in Familien gehäuft auf. Dabei ist eine Veränderung des Gehirnstoffwechsels erkennbar, insbesondere beim Botenstoff Serotonin. Einer solchen Veränderung kann auch eine bakterielle Infektion zugrunde liegen. Dies ist jedoch eher selten die Ursache.
Zu den Persönlichkeitsfaktoren zählen Eigenschaften einer bestimmten Person, die vererbt oder durch das Erziehungsverhalten gelernt wurden. Zu diesen Eigenschaften gehören ängstlich, gewissenhaft oder vorsichtig zu sein und sich schnell Sorgen zu machen.
Die sozialen Faktoren lassen sich im Umfeld und in der Familie finden. So kann es sein, dass Betroffene vermehrt Stress oder Streit mit Freunden oder Familie erleben. Andere fühlen sich sozial ausgeschlossen, haben zum Beispiel nur wenige Freunde. Eine elterliche Erwartungshaltung bezüglich Sauberkeit oder Perfektion können ebenfalls einen Einfluss auf die Entstehung einer Zwangsstörung haben. Eine Vorbelastung der Eltern zeigt sich oftmals im Erziehungsverhalten oder dem Familienklima. Auch besondere Erlebnisse können die Entwicklung einer Zwangsstörung begünstigen. Dabei sind vor allem Ereignisse, die eine Veränderung bedeuten, wie beispielsweise ein Umzug, relevant. Aber auch eine besonders schlechter Erfahrung kann die Entstehung einer Zwangsstörung begünstigen.
Weiter spielen auch Lernerfahrung eine Rolle bei der Entwicklung von Zwangserkrankungen. So macht eine betroffene Person zum Beispiel eine schlimme Erfahrung wie eine Erkrankung einer nahen Person und denkt zum Beispiel beim Anfassen einer Türklinke daran. Durch diese Verbindung entwickelt sich durch einen Lernprozess die Angst, sich mit gefährlichen Krankheitserregern anzustecken. Deshalb beginnt die betroffene Person, den Kontakt mit Türklinken zu vermeiden. Falls dies nicht möglich sein sollte, wäscht sich die betroffene Person nach dem Anfassen der Türklinke die Hände. Durch die erlebte Entlastung weitet sich dies auf einen Waschzwang aus.
Zuletzt spielt auch der Umgang mit Gedanken eine Rolle. Es ist völlig normal, immer wieder unangenehme Gedanken zu haben. Wenn man diesen Gedanken jedoch eine grosse Bedeutung beimisst und sich noch lange damit beschäftigt, weshalb man so etwas denkt, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Gedanke in einen Zwangsgedanken verwandelt.
Ursachen für die Aufrechterhaltung von Zwängen
Zwänge können auch auf ungelöste Probleme im Leben der Betroffenen hinweisen. Dies rührt daher, dass sie zur Entlastung oder zum Schutz dienen können. Diese Entlastung kann letztendlich zur Aufrechterhaltung der Zwänge beitragen. So erfüllen die Zwänge eine bestimmte Funktion, zum Beispiel als Vermeidungsverhalten bestimmter Situationen. Solche Funktionen sind den Betroffenen zumeist nicht bewusst und können in der Therapie erarbeitet werden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass jeder und jede eine Zwangserkrankung entwickeln kann. Letztendlich spielen nicht bei allen Betroffenen die gleichen Faktoren mit der gleichen Stärke eine Rolle. Es ist ein Zusammenspiel, welches die Erkrankung begünstigt und aufrechterhält.